Gesundheitsexperten tauschen sich in Bad Bellingen über Hausarztversorgung aus

Veröffentlicht am 22.03.2024 in Presseecho
 

Sie werden weniger und älter: Hausärzte. Wie die Versorgung dennoch gesichert werden kann, diskutierten Experten im Bad Bellinger Kurhaus. Eine Forderung: kein Numerus clausus mehr fürs Studium.

Tausend Hausarztstellen sind in Baden-Württemberg unbesetzt, 27 davon im Landkreis Lörrach. Und von den Allgemeinmedizinerin im Kreis seien 44 Prozent älter als 60 Jahre, sagte Marion Caspers-Merk. Die ehemalige Staatssekretärin der Bundesministerin für Gesundheit war am Dienstag ins Bad Bellinger Kurhaus gekommen.

Eingeladen zur Diskussion über die künftige Versorgung mit Hausärzten hatten die SPD-Ortsvereine aus Efringen-Kirchen sowie Schliengen und Bad Bellingen. Gekommen waren 15 Interessierte, um den Worten von Caspers-Merk, dem früheren Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Südbaden Peter Schwörer, der über viele Jahre in Bad Bellingen als hausärztliche Internistin arbeitenden Petra Fischbach sowie des in der Medizintechnik tätigen Gemeinderats Tim Wessel zu folgen.

Eine Last sei vor allem die überbordende Bürokratie, sagte Fischbach. Ärzte und Fachangestellte müssten sich oft abends noch hinsetzen, um aus Datenschutzgründen Diagnosen zu codieren. In der Diskussion kristallisierte sich ein stärkeres Delegieren von Leistungen an Sozialarbeitende, Ehrenamtliche, Arzthelferinnen sowie Physio- oder Ergotherapeuten als ein Lösungsweg heraus. Therapeuten sollte "der direkte Zugang zu Patienten ermöglicht werden", sagte Schwörer.

In der anstehenden Klinikreform sieht Caspers-Merk gute Ansätze zur Reduzierung der Zahl defizitärer Krankenhäuser. Man müsse aber "aufpassen, dass es keine weiße Flecken gibt", sagte sie. Auch medizinische Versorgungszentren, wie derzeit eines in Bad Bellingen gebaut wird, seien zukunftsweisend – wenn sie nicht von Investoren geführt würden und Hausärzte integrierten. Denn die Zentren tragen zu einer engeren Vernetzung der Mediziner bei.

Schwörer betonte die Gefahr, die durch Privatversicherte und Kassenpatienten entstandene "Zweiklassenmedizin" könne zu einer "Dreiklassenmedizin" werden. Er meint damit Menschen, die künftig keinen direkten Zugang zu Ärzten haben, weil sie nicht mehr mobil sind und daheim nicht mehr aufgesucht werden.

Die "medizinische Versorgungspyramide" mit einer breiten Basis an Hausärzten und sich verjüngenden Ebenen immer größerer Spezialisierung drohe, sich umzukehren. "Es kommen zu wenige Hausärzte nach, das Medizinstudium ist zu sehr auf eine Spezialisierung ausgerichtet", kritisierte Schwörer.

Bei der Zulassung zum Studium der Allgemeinmedizin müsse man wegkommen vom Numerus clausus, forderten die Experten. Plätze sollten nicht allein nach der Abiturnote, sondern auch nach sozialer Kompetenz vergeben werden. Zudem sei die Bezahlung von Allgemeinmedizinern ungerecht: "Kein Mensch versteht, warum in Deutschland ein Orthopäde mehr verdient als ein Hausarzt", sagte Schwörer. Wie entlastend digitale Technologie wirken kann, verdeutlichte Tim Wessel anhand einer Übertragungsbrille. Sie ermöglicht es Spezialisten, Diagnosen aus der Ferne zu stellen.

Am Ende war sich die Runde einig, dass die Missstände im "wohl komplexesten Gesundheitssystem der Welt" nur ein Akteur beheben kann: die Politik. "Deshalb hat sich die SPD die medizinische Versorgung auf ihre Agenda geschrieben", sagte Armin Schweizer, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Efringen-Kirchen.

 

Gesundheitsexperten tauschen sich in Bad Bellingen über Hausarztversorgung aus (veröffentlicht am Fr, 22. März 2024 um 07:44 Uhr auf badische-zeitung.de)

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